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Rose Meller - Eine vergessen gemachte Schriftstellerin


Rose Meller im Jahr 1932


Dora Sophie Kellner und ihre Schwester Paula Arnold waren nicht die einzigen Schriftstellerinnen in der Familie: Ihre Cousine Rose Meller feierte in den 1930er-Jahren große Erfolge als Roman- und Theaterautorin. Ihre Mutter war Sidonie Weiss, eine meiner sieben Großtanten, die den Budapester Bankdirektor Julius Meller geheiratet hatte.


Die Familie floh im Sommer 1920 vor dem antisemitischen „Weißen Terror“ des autoritären Horthy-Regimes von Budapest nach Wien. Rose Meller studierte Bakteriologie, promovierte 1925 an der Universität Göttingen und arbeitete danach zuerst als Wissenschaftlerin am Sero-Therapeutischen Institut der Universität Wien und dann im bakteriologischen Ambulatorium der Wiener Arbeiterkrankenkasse.


Am 13. 10. 1931 hatte Rose Mellers Komödie „Leutnant Komma“, die Dramatisierung einer Novelle des russischen Schriftstellers Juri Tynjavows, in einer Aufführung des Burgtheaterstudios am Wiener Akademietheater Premiere. Das Stück war bei Publikum und Presse ein Riesenerfolg und brachte es in den Kammerspielen auf hundert ausverkaufte Vorstellungen. Der Erfolg des Stücks setzte sich international fort und es erlebte zahlreiche Aufführungen, unter anderem an Theatern in Budapest, Hamburg und Stockholm.


Hatte Rose Meller ihr erstes Stück noch unter dem männlichen Pseudonym „Frank Maar“ veröffentlicht, so brachte sie ihren ersten Roman „Frau auf der Flucht“ 1931 unter ihrem eigenen Namen heraus und erntete dafür sehr gute Kritiken. Im Jahr darauf eröffnete das Volkstheater die Saison mit ihrem zweiten Theaterstück „Die Weiber von Zoinsdorf“ unter der Regie von Franz Theodor Csokor.


Wegen dieses pazifistischen Bäuerinnen-Dramas wurde die jüdische Schriftstellerin zur Zielscheibe der immer aggressiver agierenden Nationalsozialisten. Gleich nach ihrer Heimkehr von der Premiere lauerte ihr ein Bursche vor ihrem Haustor auf und versetzte ihr mit dem Ruf „Da hast den Applaus vom Hitler!“ einen Faustschlag ins Gesicht. Nach Hetzartikeln in den Nazi-Blättern wurde sie wiederholt auf offener Straße angepöbelt und mittels anonymer Anrufe und Briefe beschimpft.


Als sich dann auch noch ein von ihr abgewiesener Verehrer bei einem Selbstmordversuch schwer verletzte, setzte die psychisch angeschlagene und schwer übermüdete Rose Meller eine verhängnisvolle Aktion: Sie täuschte in ihrem Laboratorium reichlich dilettantisch ein Nazi-Attentat vor und fügte sich dabei mit einem Messer leichte Verletzungen zu. Ein angeblich am Tatort hinterlassener Zettel insinuierte weitere geplante Angriffe auf die jüdischen Schriftsteller Felix Salten und Geza Silberer (Pseudonym „Sil-Vara“), dessen Mutter und vier Geschwister später tatsächlich Opfer des Holocaust werden sollten.


Es wurde rasch aufgedeckt, dass Rose Meller diesen Zettel auf ihrer eigenen Schreibmaschine geschrieben hatte und das Attentat eine reine Erfindung war. Da sie bei der polizeilichen Einvernahme den Bettauer-Mörder Otto Rothstock als möglichen Attentäter genannt hatte, wurde sie von diesem und vom Nazi-Gauleiter Albert Frauenfeld wegen Ehrenbeleidigung geklagt. Daraufhin verhängte der Nazi-freundliche Staatsanwalt Erwin Scheibert über sie die Untersuchungshaft, in der sie trotz getätigter Entschuldigung und geleisteter Entschädigungszahlungen an die beleidigten Nazis mehr als drei Monate lang dunsten musste. Eine Freilassung auf Kaution wurde wegen „Fluchtgefahr“ abgelehnt.


Einer von vielen Sensationsberichten über den Prozess


Nach einem von den Zeitungen ausgiebig ausgeschlachteten Sensationsprozess wurde Rose Meller schließlich wegen durch Betrug verursachter Kosten für den Polizeiapparat zu einem halben Jahr schweren Kerkers verurteilt, verschärft durch einen monatlichen Fasttag. Interessanterweise gab sie beim Prozess an, sie wäre im Alter von 14 Jahren in Breitenstein am Semmering Opfer einer physischen Attacke geworden, könne sich aber nicht mehr an die genauen Einzelheiten erinnern. In der Berufungshandlung wurde sie dann zwar vom Tatbestand des Betrugs freigesprochen, das harte Urteil wurde aber dennoch bestätigt – damit wurde ihr auch das Doktorat aberkannt und somit eine weitere wissenschaftliche Tätigkeit verwehrt.


Für die Nationalsozialisten war diese Affäre natürlich ein gefundenes Fressen: In ganz Wien wurden Plakate affichiert, auf denen in großen Lettern zu lesen stand: „Rose Meller hat gestanden!“ und darunter: „Verleumdungen der Systempresse restlos zusammengebrochen!“ Freilich äußerte die nationalsozialistische „Deutschösterreichische Tages-Zeitung“ volles Verständnis für ein derartiges Attentat, sofern dem Täter „die Empörung über die Verseuchung der deutschen Literatur durch jüdischen Geist das Messer in die Hand gedrückt hat.“ Und noch Jahre später wurden in den Nazi-Blättern Artikel über den Fall Meller als Beweis für jüdischen Lug und Trug veröffentlicht.


Das antisemitische Hetzblatt „Kikeriki“ widmete dem Wirbel am 26. 2. 1933 seitenweise Artikel und Spottgedichte, sowie auch die folgende „Anfrage“: „Ist die Generalstaatsanwaltschaft bereit, sämtliche jüdischen [sic!] Journalisten psychiatrieren zu lassen? – Diese Sippschaft erfindet doch seit Jahr und Tag ganz dieselben Räuberpistolen, wie ihre Stammes-, Rassen- und Gesinnungsgenossin Rose Meller!“


Unter dem Titel „Einer von ünsere Lait“ folgte dann eine der üblichen Kikeriki-Karikaturen:


Der Chefredakteur der „Wiener Allgemeinen Zeitung“ Paul Deutsch kommentierte die Reaktion der Rechten am 9. 2. 1933 in einem Artikel so: „Noch mehr entrüstet sind natürlich die Hitlerianer selbst. Entsetzlich, wie man ihnen unrecht getan hat! Man hat die Pogrom-Lyriker, die von der Nacht der langen Messer und vom Judenblut, das vom Messer spritzt, träumen, man hat diese unschuldsvollen Messerphantasten für fähig gehalten, daß sie einmal wirklich zum Messer greifen!


Unzähligemale sind die Hakenkreuzler mit Messern und Pistolen losgegangen, und die Opfer waren nicht immer politisch exponierte Persönlichkeiten, es waren oft genug ganz abseits Stehende, deren Existenz irgend einem stupiden Fanatiker im Wege war. Aber mit dieser Argumentation wird man natürlich nicht diejenigen überzeugen, die einziges fingiertes Attentat als ein viel größeres Verbrechen halten als tausend wirkliche Attentate.“


Auf der ersten Seite der Zeitung „Der Abend“ war am selben Tag unter dem Titel „Siegesgeschrei der Nazi“ folgendes zu lesen: „Unschuldig, ganz unschuldig stehen sie da, ja mehr noch, man hat ihnen völlig zu Unrecht einen Anschlag angedichtet. Seitenlang schreit heute die „Dötz“ (Deutschösterreichische Tages-Zeitung) Zeter und Mordio über den „größten Judenschwindel des Jahrhunderts“, über die „Krone jüdischer Verruchtheit“. Die schwer gekränkte Unschuld heischt Genugtuung, das durch das bittere Unrecht gekränkte braune Ehrgefühl macht sich in folgenden Worten Luft: „Wir warnen auch gleich davor, irgendwo im deutschen Sprachgebiet noch ein Stück der Jüdin (Meller) aufzuführen. Dies gilt besonders für das Akademietheater, das sich als ihre besondere Förderin auf Kosten der Steuerzahler bislang betätigt hat. Wir warnen jede Buchhandlung, ein Werk der Jüdin in die Auslage zu stellen, wir warnen alle Verantwortlichen, die Luft in Österreich ist seit gestern dick!“


Die Stunde, 20. 5. 1933


Nach diesem Skandal war es in Österreich mit Mellers Schriftstellerkarriere klarer Weise Essig. Sie zog 1934 zurück nach Budapest und legte im Jahr darauf auch ihre österreichische Staatsbürgerschaft zurück. Ihr im Gefängnis unter dem Pseudonym „Martin Gläser“ verfasstes Stück „Das Geständnis“ wurde jedoch in Hamburg, Frankfurt, Bremen, Mährisch-Ostrau, Prag und Budapest erfolgreich aufgeführt und 1936 auch verfilmt. Eine von Erich Ziegel geplante Aufführung an den Wiener Kammerspielen wurde jedoch nach der Aufdeckung des Namens „Martin Gläser“ als Pseudonym Rose Mellers abgesagt.


Ein weiteres Theaterstück kam 1938 in Budapest zur Aufführung und 1943 erschien noch ein erzählerischer Essay, basierend auf ihren Erfahrungen als Mutter eines kleinen Kindes unter dem repressiven Regime der faschistischen Pfeilkreuzler. 1937 hatte sie den Psychotherapeuten Laszlo Balassa geheiratet, 1938 wurde ihr Sohn György geboren. Als die deutsche Wehrmacht 1944 Ungarn besetzte und unter der Leitung Adolf Eichmanns mit der systematischen Ermordung von 424 000 ungarischen Juden begann, musste Rose Meller mit Mann und Kind untertauchen. Sie überlebte die letzten Tage des faschistischen Terrors nur knapp in einem Kellerversteck – im Keller des Nebenhauses metzelten die Pfeilkreuzler kurz vor der Befreiung noch alle dort versteckten Bewohner nieder.


Ähnlich erging es Rose Mellers Großcousine, der später weltberühmten ungarischen Philosophin Ágnes Heller. Ihr Vater Paul Heller wurde in Auschwitz ermordet – er war der Sohn von Julius Mellers Schwester Sophie. Ágnes Heller erinnert sich daran, wie sie in Budapest denkbar knapp mehrere Judenmassaker überlebte:


„Ich war 15 Jahre alt, als wir vom Ghetto aus zur Donau geführt wurden. Als ich von Weitem die Schüsse hörte, war mir klar, dass ich sterben würde. Am Flussufer wurde einer nach dem anderen durch einen Genickschuss getötet, trotzdem hatte ich keine Angst. Ich dachte keine Sekunde lang an den Tod, auch nicht an meine Mutter, die neben mir stand. Ich starrte einfach nur in die Donau und dachte: Wann springe ich? Wann springe ich? Am Ende musste ich nicht springen. Von einer Sekunde auf die andere wurde die Erschießungsaktion abgebrochen.“


1947 wurde noch ein kritisches Theaterstück von Rose Meller in Budapest aufgeführt und eine Novelle in drei Sprachen veröffentlicht. Danach wurde ihr vom kommunistischen Regime unmissverständlich nahegelegt, sie möge sich doch lieber auf ihre Arbeit als Chemikerin konzentrieren. In der Folge publizierte sie bis zu ihrem Tod im Jahr 1960 nur mehr wissenschaftliche Fachaufsätze, die international große Beachtung fanden.


Roses Sohn Georges Balassa zog nach Frankreich und promovierte dort zuerst in Biologie und später auch in Psychologie. Er beschäftigte sich danach intensiv mit der Kombination von Psychotherapie und Theaterarbeit, gründete eine therapeutische Theatergruppe und initiierte zahlreiche Aufführungen und Projekte mit Drogenabhängigen.


2013 gab er die Novelle seiner Mutter „La sentence“ aus dem Jahr 1947 heraus – Ágnes Heller schrieb dazu ein Nachwort. Und 2022 veröffentlichte dann Dr. Alexander Emanuely im Verlag der „Theodor Kramer Gesellschaft“ diese Exilanten-Novelle unter dem Titel „Justiz in Amerika“ mit einem ausführlichen biografischen Nachwort. Den umfassenden Recherchen Dr. Emanuelys verdanke ich auch die Informationen für dieses Kapitel über meine fast vergessene Großcousine.


Richard Weihs


Veröffentlicht in der Zeitschrift der Theodor Kramer Gesellschaft "Zwischenwelt" Nr. 3-4 (Dezember 2022)

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