Über
Richard
Weihs
Über Richard Weihs
von Mag. Dr. Thomas Northoff
Richard Weihs im Internet: Im Portal prangt die Zeichnung eines Gitarre spielenden Grantscherms, symbolisch als solcher stilisiert, aber treffendst auch als Richard Weihs erkennbar. Eine Kostbarkeit aus der Hand von Richards Freund und Musikerkollegen Klaus Trabitsch.
Der Begriff „Heimatseite“ ist Programm. Allein das beweist Richards Mut und Ernsthaftigkeit in einer Zeit, in der es mehr Mode als Reflexion ist, den Begriff Heimat als anachronistisch zu brandmarken. Aber Richard ist e c h t e r Wiener. Zum Mut gesellt sich bei ihm die Wut – über die Unheimatlichkeit ungleicher gesellschaftlicher Verhältnisse überall und erst recht in Wien. Zur Gärtnerinsel-Zeit, als er begann, sich einen Namen zu machen, gehörte Richard einer scheel beäugten Wutbürgerschaft an, lange bevor dieser Begriff in Augenhöhe einer großen Allgemeinheit verkam und später von den Pegidas ins Gegenteil verkehrt wurde.
Beide, je selbst- und weltverdrossen in anscheinend ähnlicher Befindlichkeit, kamen wir vor über dreißig Jahren erstmals ins Gespräch. Was wir sprachen, erinnere ich nicht mehr – es war ja Nacht –, behielt jedoch die Begegnung mit einem Menschen, der sich immer fragt, wie es so weit kommen konnte. Was? Alles, alles in der Welt! Und vor Ort in Wien.
Nach einer Lesung bei der Frankfurter Buchmesse befestigte sich dieses Gefühl von Verwandtschaftlichkeit, nachdem wir uns eine Nacht lang im Ausleben skurriler Kreativität als medizinisches Personal um die Ohren geschlagen hatten. Bei den gemeinsamen Lesetheater-Events Tiafe Texte lachte ich über Richards kongeniale Text-Musik-Mischung Tränen, noch während ich meine Sätze zu sagen hatte.
In seiner Sprache führt Richard Ausdrucks-Essenzen und Redebrauchtümer aus geographischen und sozialen Wiener Dialekten zusammen zum Wiener Dialekt. Diese Liebe erklärt sich Richard so: Vor seiner Übersiedlung als Kind nach Wien habe er „zuerst Hochdeutsch und dann Englisch“ in einem Linzer Kindergarten gelernt. In Wien gelandet, habe dann der Wiener Dialekt eine exotische Faszination auf ihn ausgeübt. Und die Faszinanz hätte sich in der Folge „der Entdeckung des doppelbödig hinterfotzigen Schmähs“ noch entfaltet. In seiner künstlerischen Auseinandersetzung stellt er keine etymologischen Herleitungen an, sondern arbeitet mit unbestritten belegten Bedeutungen.
Richards Liebe zur Lyrik und zur Sprache überhaupt äußert sich im Gedicht Die Versammlung der versehrten Verse, ein Bestiarium der Versformen, darunter Zungenbrecher, Knittelverse und Versschlampen. Allesamt von der Sprachverschluderung verletzt rufen sie nach der Sprachpolizei.
Historische Epochen lassen sich im Werk eines Sechzigjährigen natürlich verfolgen. Richards Gedichte spiegeln die jeweiligen gesellschaftlichen Befindlichkeiten, nicht selten in Reflexion zu seiner eigenen. In Fernschaun steht man am Anfang der Fernsehzeit, schwarzweiße Bilder aus aller Welt kommen ins Wohnzimmer. Wie schwer es zu begreifen war, dass man Teil dieser Welt hinter der Mattscheibe sei.
Mit seiner Dichtung, insbesondere den Liedtexten, sieht sich Richard in der Palette der neueren Wiener Tradition von Roland Neuwirth bis Heli Deinboek. Früh hatten ihn Hermann Leopoldi und Armin Berg beeindruckt.
Viele Gedichte Richards zwingen einen beim Lesen geradezu sie zu rhythmisieren. Sein balancierendes Spiel mit den Selbst- und Zwielauten ist ein besonderes Markenzeichen Richards. Dazu kommen die Wort- und Wortklangspielerei und die Kunst der Aneinanderfügung zu Inhalt. Bedeutungsreihen ergeben Handlung oder Gefühl. Scheintrivialität ist das vergnügliche Leitlinien-Element, sie versetzt in assoziative Vertiefungsräume.
Richard arbeitet am Endlos-Panorama unseres unbewussten Grund-Grants, aus dem sich gesellschaftliche Zustände der Hartleibigkeiten speisen. Gerne zeichnete er Utopien, doch weiß er, wir leben in der schwellenden Dystopie. Vor allem in den Gedichten im „tiefen“ Dialekt kommt am schärfsten seine ureigene Radikalität in Sprache, Inhalt und Vortrag zum Ausdruck.
Die Heisl-Elegie stellt einen anarchischen Nihilismus vor, der in der Praxis sein Beispiel sucht: Der Ich-Held hat sich im Klo eingelebt, sitzt dort als Kaiser auf seinem Thron und scheißt auf die Welt. Ein seltenes Beispiel, gewiss, doch Richard spielt in seinen Texten die unterschiedlichsten Typen, die letztendlich die Gesellschaft ausmachen. Ein nie enden könnendes Panorama bodenlosen Materials. Er weiß schon, dass das Volk nicht nur Opfer ist. Immer aber merkt man, er liebt die Menschen. Er lebt mit ihnen, wenn er im Bittern auch noch Lachen bringt.
Hygieneverseuchten Menschen wird das Stoßgebet, ein Stuhlgedicht, sehr zu innerem Schmerz gereichen. Ob Kerzelschlucker mit O Leib voll Blut und Säften, singbar zur Melodie von O Haupt voll Blut und Wunden zurecht kommen, ist fraglich. Es geht um die ununterdrückbare Lust des Leibes zu anderen Leibern, was der Protagonist als schändliches Begehren erleidet. So hält er sich nach der Schrift: „Ein böses Glied reiß aus!“
Vor solchen Werken hütet sich ein Teil des potenziellen Publikums. Ein anderer stößt sich an für es Unaussprechlichem, Unappettitlichem, zivilisierter Menschen Unwürdigem. Dazu mögen die menschlichen Situationskomiken mit Silberfischchen, Häuselratz oder Filzlaus zählen. Unübertroffen ist jedoch – Kenner lecken dabei ihre Fingerspitzen – der Rammlschnoiza-Woiza. Er endet: „Fia mi is jeda Ramml / da Rohstoff fia mei Kunst“.
Im Wiener Lied und im Dialekt sieht Richard die regionale Art, bluesig in die Welt zu sehen. „Wien hat den Blues und der Blues hat die WienerInnen“, sagt er und führt aus: „Das Wiener Lied unterscheidet sich vom Blues insofern, als es oft ein Kunstlied mit ausgefeilten und komplexen Harmonien ist, während der Blues in pentatonischer afrikanischer und europäischer Volksmusik wurzelt, mit ganz einfachen Harmonien. Gemeinsam ist beiden aber die Thematik (Saufen, Liebe, Tod) und tief empfundenes und ausgiebiges Jammern.“
Also geht es hier immer um WienerInnen oder auch um Wien. Und dennoch geht es immer auch um die Welt überhaupt, vermittelt eben durch Gesellschaftsgruppen, durch Einzelpersonen oder durch das Sich-Offenbaren des Autors selbst. Hierzu gehört Ein Körnchen Wahrheit – diese lyrische Tiefe ist nicht nur Wien, ist Zustand der Welt.
Die unterschiedlichen emotionellen Gleichzeitigkeiten der vielen Gruppierungen und Kollektive der Gesellschaft begreifbar zu machen, das gelingt – für mich – jedenfalls mit Richards lyrischen Verdichtungsmethoden.
Besonders abgesehen hat es Richard auf bewusste Anpassler und das Negieren von Moral. In Seavas Gschäft! lehrt einer das Drehen mit dem Wind und weiß: „Moral is a Fossil!“. Für manche keine Frage: „Zweiflscheißer gengan nua im Kras“. Richard nimmt Arschkriecherei in den unterschiedlichsten Emanationen aufs Korn. Genial einfühlsam zeichnet er aber auch das Bild jenes Gesellschaftssegments ohne Drang zu Erfolg. „Die Hängelurch-Melodie ist von mir“, sagt Richard, in Erinnerung an das Hänge, hänge – Lied, das ihm als Kleinkind seine Mutter sang, wenn sie ihn in ihren sicheren Armen an der Wäscheleine am Balkon herumhanteln ließ.
Die Strophen-Melodie zu Simmering Heart lehnte Richard an den Country-Song Wabash Cannonball an, die Refrain-Melodie ist von ihm. Er kreierte damit ein amerikanisches Wienerlied: Ein Ami schwärmt in seinem Idiom von den Schönheiten des 11. Wiener Gemeindebezirks. Man spürt den 11. Hieb und man spürt noch die Weite der Prairie.
Ein Ort von Richards Leben wurde das Wirtshaus Sittl am Gürtel, jenes „Wiener Zeitloch“ am ehemaligen Linienwall, neben der sechsspurigen Verkehrshölle des Gürtels. Im vor Lärm geschützten Pelikanstüberl hat Richard seit vielen Jahren die ihm zusagende Nische für seine Lieder- und Kabarettprogramme gefunden.
Richard war nie ein expansiver Mensch, eher ökologisch denkender Minimalist, seine Programme benötigen kaum technischen Aufwand und folgen keiner vertrackten Konstruktion. Jedes hat Thema und Untertitel, wobei letzterer die Idee dahinter verrät. Zwischen seinen Liedern geriert sich Richard eher als Moderator und präsentiert eine fundierte Sammlung literarischen und dokumentarischen Materials zum Thema, in breiter Streuung von Josef Mayer-Limberg über Ernst Kein bis El Awadalla oder eben Richard Weihs.
Er selber produziert als Moderator keine Schenkelklopfer und stellt sich auch nicht als Schauspieler dar. Aber spätestens, wenn er sich die Knöpferlharmonika greift, wird, bei ernstem Gesicht, seine Ausstrahlung pure Komik. Ab dann gibt es nichts mehr, was „rein“ klingt. Wie die Welt eben ist.
Bei der von Richard geliebten Knöpferlharmonika, dieser friedfertigen Begleiterin der Ironie und Unterstreicherin des Irrsinns, handelt es sich um ein diatonisches Hochholzer-Melodeon, das heuer seinen hundertsten Geburtstag feiert und so nicht mehr erzeugt wird. Beim ersten Ton schon, den ihr Richard entlockt, zerfließt mir der vom Weltgeschehen und meinem Krankenkassengebiss griesgrämige Mund zu seligem Lächeln. Ich fühle mich wohl, sobald ich die grundständigen Töne und Richards Spielarten höre.
Zum Bild des Autors selbst ist dessen Prosa von allgemeinem Interesse. In kurzen Erzählungen stellt Richard weniger seine Bio in den Vordergrund, als bestimmte Begegnungen, Aktionen oder Orte seines Lebens. Als „sturer Hund“ besitzt er Moral und macht ungeachtet kommerziellen Erfolgs das, was er für richtig hält.
Viel Zeit und Kraft steckte er in politisches Engagement. Beispielsweise verdankt Wien ihm und MitstreiterInnen einen Park an lebensnotwendiger Stelle. Ähnlich wie im Text über die Aktion Ein Monument für Fritz Grünbaum zum 50. Jahrestag der Besetzung Österreichs, ist die Perspektive erzählerisch so angelegt, dass sich die jeweiligen amtlichen oder privat privilegierten Stellen eigentlich von selbst aufplatteln. Nur wer sich in der Praxis durch solche Dschungel kämpft, kann so authentisch erzählen und lyrisch konkretisieren.
Thomas Northoff, geb. 1947 in Wien, lebt ebd. als Schriftsteller und Graffitiforscher. Baute seit 1983 das „Österreichische GraffitiArchiv für Literatur, Kunst und Forschung“ auf, welches der literarischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit inoffiziellen Zeitzeichen dient. Hinter seinen meist zum Lachen anregenden Texten wehen die Fahnen des Alltagswahnsinns mit erschreckenden Grimassen.